Kniffte mit ohne Firlefanz
Sehr oft werde ich gefragt, was ich als Veggie esse, wenn es mal besonders schnell gehen muss. Ebenso oft antworte ich dann: »Ne Kniffte mit ohne Firlefanz.« Hier in Bayern ernte ich als Reaktion meist nur verwirrte Blicke. Insgeheim kichere ich dann albern in mich hinein. Ich kann einfach nicht anders. Denn obwohl ich nun seit gut 20 Jahren in München lebe, bin und bleibe ich ein Kind ausm Pott.
»Komm, krisse ne Kniffte auffe Hand«, sagen auch heute noch viele Mütter im Ruhrgebiet zu ihrem hungrigen Nachwuchs, wenn das Mittagessen noch nicht fertig ist und die Blagen plärren. Doch so eine Kniffte mit oder mit ohne Firlefanz eignet sich nicht nur hervorragend zum Überbrücken bis zur nächsten Hauptmahlzeit, sondern schmeckt auch prima als schnelles Mittagessen oder Abendbrot. Du verstehst nur Bahnhof und weißt nicht, was eine Kniffte ist? Komma lecker bei mich bei und ich erklär dir dat mit die Knifften, Bütterkes und Schnittkes! Dann hat dat Rätselraten n Ende.
Ursprünglich war eine Kniffte (auch: Knifte) mit ohne Firlefanz nichts anderes als eine Scheibe Graubrot, die mit Butter oder Pflanzenmargarine bestrichen und liebevoll-rabiat zusammengefaltet (»gekniffen«) wurde. Also quasi der Urvater eines Butterbrotes, auch Butter genannt. In den frühen Siebzigern gönnte man sich gern eine Kniffte »mit die gute echte Butter drauf«, nur der arme Malocher griff eher zu »Magarine«. Du siehst: Vegetarismus oder gar Veganismus waren damals noch kein Breitensport.
Das Butter (Plural: Bütters) hingegen wird zusätzlich einlagig mit einem Scheibsken Wurst oder Käse belegt und ist bis heute ein beliebtes Pausenbrot. Gut zu wissen: Laut Doatmunda Brotbelagsverordnung von 1869 darf das Butter eine Scheibenstärke von 15 Millimetern nicht unterschreiten, sonst mutiert es zum Bütterken (Plural: Bütterkes).
Apropos Mutationen … Eine Variante der Bütters sind die sogenannten Hasenbütters. Hierbei handelt es sich nicht etwa um Bütters mit Hasenwurst, sondern um in Schulranzen, Henkelmännern oder Aktentaschen tagelang vergessene Exemplare, bei deren wagemutigem Verzehr selbst erfahrene Genießer lange Zähne bekommen. Zum Glück ist das Hasenbutter heutzutage aufgrund des zunehmenden Bewusstseins von Lebensmittelverschwendung und Food Sharing weitestgehend ausgestorben.
Schnittkes
Doch bevor ich hier von Höcksken auf Stöcksken komme, verrate ich dir lieber schnell noch was über Schnittkes. Dazu benötigst du ein gewisses Grundverständnis der höheren Ruhrpottmathematik. Aufpassn, getz! Nimm ein Butter und halbiere oder viertele es, dann krisse zwei bzw. vier Schnittkes (Singular: Schnitte). Das zur Schnitte geschnittene Butter bitte nicht mit der Scheibe verwechseln, woll!?
Nun belegst du die Schnittkes frei Schnauze mit Gürkchen oder Petersilie. Dann hasse feine Schnittchen. Die du immer noch Schnittkes nennen darfst. Wenn du willst. Dat is nemmich sone Sache mit die Schnittkes. Da Omma und Oppa mit ohne Zähne nämlich immer noch so ihre Probleme mit die kleinen Dingas haben, schneidest du sie kurzerhand mit einem Hümmelken in Reiterkes – mundgerechte Happen, die fast »von selba« die Kehle runterrutschen.
Und getz mit Schmackes! Wenn du zwei Schnitten so aufeinander legst, dass die belegten Seiten friedlich miteinander kuscheln, krisse ein Butter – oder Bütterken – mit Zuklappe. Und nicht etwa eine Doppelschnitte oder so ne neumodische Sperenzkes wie ein Sandwich oder Tramezzini. Aus dem Butter mit Zuklappe wird ratzfatz eine moderne Kniffte, wenn du das Brot vorher in über 15 Millimeter breite Scheiben schneidest und diese männerdaumendick mit (Tofu-)Wurst belegst.
Allet klar?
Weniger Schisselameng – mehr Geschmack
Da inzwischen immer mehr Menschen immer weniger Schisselameng essen, hat die postmoderne Kniffte eine Wandlung erfahren und zeigt sich immer öfter ohne Wurst. Gleiches gilt für Butter, Bütterkes und Schnittkes. Als Belag ist erlaubt, was gefällt und schmeckt. Und das Brot muss ebenfalls längst nicht mehr unbedingt ein Graubrot sein: Die Globalisierung hat auch im Pott Einzug gehalten und so dienen Ciabatta und Foccacia ebenso als Basis für die Kniffte von heute wie türkisches Fladenbrot, indisches Naan oder mexikanisches Maisbrot – ay caramba!
Der beste Ehemann von allen und ich verkasematuckeln unsere Kniffte mit ohne Firlefanz am liebsten auf der Basis von Dinkelvollkornbrot oder knackigem Körnerbrot. Wenn das Brot nicht mehr ganz frisch ist, rösten wir es vor dem Belegen im Toaster. Und da wir Kinners ausm Pott schon immer besonders erfinderisch waren, belege ich unsere Knifften mit allem, was die Küche hergibt. Drei meiner Lieblingsbeläge stelle ich dir heute vor, ganz ohne Firlefanz.
Grundrezept für eine Kniffte mit ohne Firlefanz
Zutaten für eine Kniffte:
- 1 mindestens 15 Millimeter dicke Scheibe Lieblingsbrot
- Butter oder Pflanzenmargarine
Zubereitung der Kniffte mit ohne Firlefanz
- Lege die Brotscheibe auf einen Teller oder ein Brett und bestreiche sie mit Butter oder Pflanzenmargarine.
- Klappe die Brotscheibe zur Kniffte zusammen – fertig!
Avocado-Kniffte mit ohne Firlefanz
- Halbiere eine Avocado, entferne den Stein und hebe das Fruchtfleisch mit einem Esslöffel aus der Schale. Schneide das Fruchtfleisch in Spalten und beträufele es mit ein wenig Zitronensaft.
- Bestreiche die Brotscheibe mit einem Gemüseaufstrich deiner Wahl und belege sie mit den Avocadospalten. Würze nach Belieben mit Kräutersalz und grobem Pfeffer und verteile frische Kräuter und Samen darüber.
Bananen-Kniffte mit ohne Firlefanz
- Schäle eine Banane, schneide sie in Scheiben und beträufele sie mit ein wenig Zitronensaft.
- Bestreiche die Brotscheibe mit Erdnussbutter, belege sie mit den Bananenscheiben und verteile grob gehackte Nüsse und/oder Mandeln darüber. Sehr lecker schmecken im Sommer auch frische Beeren als Topping.
Tomaten-Kniffte mit ohne Firlefanz
- Brause eine Handvoll Mini-Tomaten ab, tupfe sie behutsam mit einem sauberen Küchentuch trocken und schneide sie in nicht zu schmale Scheiben.
- Bestreiche die Brotscheibe mit einem Gemüseaufstrich deiner Wahl und belege sie mit den Tomatenscheiben. Würze nach Belieben mit Kräutersalz und grobem Pfeffer und verteile frische Kräuter und Kürbiskerne darüber.
Sissis Resümee
Getz bin ich richtig meschugge im Kopp von de ganze Gelaber über Knifften, Bütterkes und Schnittkes! Hunger habe ich auch. Vielleicht wird es ja Zeit für eine Kniffte mit ohne Firlefanz? Wie dem auch sei: Dieser kleine Ausflug in den Regiolekt meiner alten Heimat hat mir sehr viel Spaß gemacht. Denn obgleich der »Ruhrpott-Slang« gesellschaftlich bei Weitem nicht als so schick angesehen wird wie das Boarische, Kölsch oder Hamburger Platt, höre ich ihn doch recht gern.
Traurigerweise wurde meiner Generation die Ruhrgebietssprache, die zu Unrecht verpönte Sprache der Arbeiterschicht, von Kindesbeinen an systematisch ausgetrieben, sodass ich sie nur lesen, schreiben und verstehen, nicht aber fließend sprechen kann. Zu schade!
Während die Menschen in anderen Regionen stolz ihren Dialekt sprechen, kann ich – dazu aufgefordert – nur schlapp mit den Achseln zucken. Dabei ist die Sprache des Reviers ein Stück der bewegten Geschichte des Ruhrgebietes und damit auch ein Stück meiner Geschichte.
Und was wäre NRW, was wäre Deutschland ohne die fleißigen Malocher im Pott?
Als echtes »Kind des Kohlenpotts« erinnere ich mich zuweilen wehmütig an den ganz eigenen Industriecharme dieser Region, denke an die Silhouetten der Fördertürme im abendlichen Sommerlicht, an die Halde in Gelsenkirchen, an das Gasometer in Oberhausen oder das Tetraeder in Bottrop. Und natürlich an den Borsigplatz, den Gründungsort des BVB.
War es mir in jungen Jahren peinlich, von anderen als »Ruhri« erkannt zu werden, so bin ich nun stolz darauf, ein Ruhri zu sein. Denn die Kindheit im Ruhrpott hat mich geprägt und zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Und wenn die Wehmut gar zu groß wird, mache ich mir eine Kniffte mit ohne Firlefanz – unkompliziert, gesund und auch »ungekniffen« richtig lecker!
XOXO
Sissi
[Artikelbild: Ella Olsson.]